Monat: August 2016

  • Menschen zum Widerstand gegen Konformität erziehen

    Ich war, als ich Sozialpsychologie studierte, fasziniert von experimenteller Forschung, und Stanley Milgram war für mich ein Vorbild. Leider ist sein berühmtestes Elektrofolter-Experiment oft missbraucht worden als Beleg für die Schlechtigkeit des Menschen, und es ist wohl nicht so zufällig, dass seine Fortsetzung mit einer dritten, widerständigen Person nie so bekannt geworden ist – schliesslich hat ja irgend jemand seine Forschung finanziert, und wer genügend Geld hat, mag Widerständige nicht so sehr…

    Ein anderes Experiment in Milgrams Nachfolge wurde von Jonah Berger durchgeführt, der an der Wharton School an der Universität von Pennsylvania forscht und lehrt.
    Ort: Wartezimmer einer Augenklinik. Eine Gruppe von angeblich wartenden Patienten wird instruiert, sich jedesmal vom Sessel zu erheben. wenn ein Signalton ertönt. Eine ahnungslos hinzukommende echte Patientin, violett gekleidet, bleibt zunächst sitzen, folgt dann aber dem Beispiel der Gruppe, als zum dritten Mal ein Signalton zu hören ist. Danach werden die gespielten Patienten der Reihe nach aus dem Wartezimmer gerufen, bis die Dame in Violett ganz alleine im Raum sitzt; sie erhebt sich dennoch bei jedem weiteren Ton. Dann kommt ein weiterer echter Patient hinzu, der erst staunt, als sich die Damen beim Signalton erhebt, doch beim dritten Mal fragt, warum sie das tue. Sie habe das halt so in der Gruppe der zuvor Wartenden erlebt und mitgemacht, erklärt sie. Weitere echte Patienten kommen hinzu, alle übernehmen sie das Verhalten, ein einziger mit sichtbarem Widerwillen, dann aber doch.

    Nach Abschluss Experiments erklärte die inzwischen aufgeklärte Dame in Violett, da alle Wartenden sich beim Signalton erhoben, habe sie gedacht, sie müsse dsas auch tun, um nicht ausgeschlossen zu werden; sie habe sich so wohler gefühlt.

    Screenshot aus dem Video zum Experiment: https://www.youtube.com/watch?v=2oLfqjf-LWU

    Ich teile die nachfolgende Vermutung, von Charlotte Heer Grau, dass im eben vorgestellten stand-up-Experiment eine obstruktiv sitzenbleibende Person zu deutlich anderen Resultaten führen würde.

    «Ein spannendes Experiment, nicht so spektakulär und verstörend, wie die Experimente von Stanley Milgram in den 60ger Jahren, aber wohl genau so aussagekräftig.
    Unsere Sozialiserung formt uns, macht uns zu den Menschen, die wir sind. Wir wissen es eigentlich, spätestens seit Milgram. Zur Kenntnis nehmen will es doch kaum jemand. Milgram hat eines seiner Experimente ausgeweitet, damals. Aber über diese Versuchsanordnung wird nie gesprochen. Er führte einen dritten Schauspieler ein. Dieser widersetzte sich und wurde so zu einem Modell für die weiteren Versuchspersonen. Es waren in der Folge weniger Versuchpersonen bereit, so zu agieren, wie von ihnen verlangt.
    Ich behaupte: Würde man diesen Versuch hier mit einer Person ergänzen, die nicht nur nicht aufsteht, sondern die Situation auch zu diskutieren beginnt, es würden sich weitere Testpersonen „wehren“.
    Der Mensch ist ein lernendes Wesen. Hat er sich allerdings daran gewöhnt, dass „Autoritäten“ sagen, was Sache ist, ist es für sie ungleich schwerer, aus hergebrachten Mustern auszubrechen. Würden sie von Kind an lernen, dass man Dinge in Frage stellen kann, hätten sie es sehr viel einfacher, sich gegen unmenschliche, dumme, sinnlose Anordnungen, (Gebräuche, Verhaltensmuster, Denkweisen, Rollenklischees und weiteres mehr) zu wehren.
    Hier, meine ich, ist die Rolle der Medien so immens von Bedeutung. Eine Bedeutung, deren sich viele JournalistInnen nach wie vor nicht bewusst sind. – Und ja, ich habe hier alles in allem enorm verkürzt. Die Thematik ist komplex. Aber hier lohnt es sich, weiter zu denken!»

    Für die politische Praxis lässt sich ableiten: Es ist entscheidend, in Erziehung und Schule und peer groups Menschen darauf vorzubereiten, in Situationen kollektiven Drucks der eigenen Überzeugung treu zu handeln. Wir brauchen solche «Kristallisationskerne», um die herum sich Widerstand formieren kann. Und wir brauchen viele Menschen, die fähig sind, den Anfang zu machen, denn das sollte nicht immer den gleichen Wenigen überlassen bleiben, schon aus demokratietheoretischen Überlegungen nicht.

    PS:
    Übrigens sind Linke nach meiner Erfahrung genau so anfällig auf Konformitätsdruck und haben eine Ertüchtigung zum selbständigen Denken und zum Widerstand nicht weniger nötig als andere. Ich sage das hier nur der Vollständigkeit halber. Es soll nämlich nachher niemand kommen und sich damit herausreden, er/sie habe es nicht gewusst, weil ich es nicht speziell erwähnt hätte… Und nein, es gibt kein automatisches Widerständigkeits-Zertifikat für Linke.

  • Nicht Burka oder Niqab sind das Problem; aber dieses kommt im Schlepptau

    Ein paar Dinge scheinen immer noch ungeklärt in Köpfen links der Mitte. Nochmals ein Versuch, den Dingen auf de Grund zu gehen.

    Die Volksintiative der Rechtsaussenpartei SVP für ein Burkaverbot ist ein populistischer Schwindel; dieser Partei geht es einzig darum, weiter auf dem Hass gegen alles Fremde zu reiten, um weiter eine «grosse» Partei zu bleiben. Etwas anderes hat diese Partei nie verstanden und nie zustande gebracht, sie hat im Gegenteil schon viel von dem zerstört, was die politische Schweiz einst ausgemacht hat. Meine Stimme für diese Zerstörung kriegen die sicher nie.

    Dies vorausgeschickt, bin ich klar für ein Verbot der Kopfverhüllung in Europa.

    Wir sollten ein paar Dinge nicht vorschnell vermischen und in den falschen Topf werfen. Dass «der Westen», genauer die Regierungen, noch genauer die Kapitalisten in diesem Teil der Welt, seit ein paar Jahrhunderten Chaos im weit grösseren Rest der Welt verursacht haben, ist klar. Dass die Bevölkerung «im Westen» dabei etwas mitprofitiert hat, ist auch klar – die Absicht der Oberprofiteure war ja, das «eigene» Proletariat ruhig zu halten, weil man es in den Fabriken oder auch mal als Soldaten fern der Heimat brauchte. Die ganze Geschichte wurde dann immer mehr auf die Spitze getrieben (Stichwort «Globalisierung»), bis sie zu kippen begann.
    Nun kommen, späte Rache der Geschichte (von klugen Linken schon vor ein paar Jahrzehnten angesagt als «Einbruch der Peripherie ins Zentrum»), viele Menschen aus unlebbar gewordenen Gegenden der Welt zu uns, weil sie hier auf ein besseres Leben hoffen. Was folgt daraus?

    Sind nun wir hier, die bisher nur ein wenig mitprofitiert haben (immer weniger im Vergleich zu den Superprofiteuren, etwas mehr im Vergleich zu Menschen in fernen Ländern), fraglos verpflichtet, alles hinzunehmen, was diese Menschen aus der Ferne an Gewohnheiten (um es mal neutral zu formulieren) mit sich bringen und hier ausbreiten? 
    Müssen wir, nachdem es unseren Vorfahren endlich gelungen ist, die einstige Allmacht der Kirche in die Schranken zu weisen, und nachdem es unserer Generation gelungen ist, reaktionär verkrustete Gewohnheiten (s. o.) unserer Eltern und Grosseltern aufzulösen, jetzt aus Fremdenfreundlchkeit, Internationalismus, Toleranz oder was auch immer tolerieren, dass Menschen kommen, die so leben wollen (oder unter dem Druck von reaktionären Obermachos, Tradition usw.) so leben müssen, wie es bei uns vor ziemlich langer Zeit mal üblich war?
    Will jemand von Euch das Mittelalter wirklich zurück bei uns? Ich nicht. Und darum schreib ich schon gegen die ersten Anzeichen an. Die Burka, ich wiederhole mich, ist nicht das eigentliche Problem; aber sie zeigt das Problem an. Wenn dieses Anzeichen toleriert werden, kommt das Problem ungehindert mit.

    Die europäischen Staaten haben es bisher nicht verstanden, etwas zu tun, was in klassischen Einwanderungsstaaten wie etwa den USA selbstverständlich ist: Es gibt klare Regeln für den Eintritt ins vermeintliche Paradies. Persönlich würde ich es für richtig halten, wenn den nach Europa Einreisenden eine Liste von Dingen vorgelegt wird, die unter Androhung der sofortigen Ausschaffung nicht toleriert werden. Einreisen darf, wer es gelesen, verstanden und unterschrieben hat. Lieber hier eine Stunde pro Person für ein Gespräch «verlieren» als später Jahre aufreibender (und fruchtloser) Polizei- und Sozialarbeit. 

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