Billos Blog

  • Die Herren des Marmors

    Was für eine Reportage!

    Eine Stadt voller Bergarbeiter, Anarchisten und Künstler. Aber die Steinbrüche sind Privatbesitz einiger Familien, denen lang vor der Gründung des italienischen Staates irgendeine Adlige ewige Abbaurechte vermacht hatte mit der Auflage, ein wenig Steuern zu bezahlen; vermutlich war sie damals schon der Pleite nahe wie viele ihrer Klasse.

    Carrara ist ein lokaler Spiegel für das Endstadium des Kapitalismus, aufgebaut einst auf den Ruinen des überwundenen Feudalismus, nun angelangt bei der letzten Konsequenz seiner inneren Logik, welche die Monopolisten der Produktionsmittel in die modernen Feudalherren transformiert. Doch der Spiegel ist trübe vom allgegenwärtigen Marmorstaub, der jede Fläche, jedes Gewässer und jede Lunge in Beschlag nimmt.

    Die Herren des Marmors freuen sich ungestört ihrer fetten Rente und überlassen alle Folgekosten der überschuldeten Gemeinde. Und die Repubblica verschliesst die Augen und tut so, als wäre der Privatbesitz von Bodenschätzen in der schönen italienischen Verfassung festgeschrieben, so ähnlich wie die Bewirtschaftung von Badestränden, die seit Menschengedenken in der Hand der selben Familien war, bis der Staat nach jahrelangem Druck aus Brüssel endlich die freie Ausschreibung zeitlich begrenzter Pachtverhältnisse durchzusetzen begann.


    Katharina Klein: «Carrara, Reich des Marmors»
    Diese Reportage kannst du mit einem kostenlosen Probeabo lesen.
    Im übrigen kann ich ein Abo der sechsmal jährlich erscheinenden Hefte von reportagen sehr empfehlen (ab 95 Euro pro Jahr).

    Illustration aus dem Heft.

  • Vom Protokollieren zum Tun

    «Die Protokollantin» ist eine fünfteilige Krimiserie, die ab Oktober 2018 im ZDF ausgestrahlt wurde. Sie ist aktuell in der ZDF-Mediathek verfügbar (die 3. und 5. Folge mit VPN). 

    https://www.zdf.de/serien/die-protokollantin-102

    In der Story sind verschiedene Stränge verwoben; sie ist jedoch gut und stringent erzählt, ohne unnötige Längen (jede Folge dauert knapp eine Stunde) und frei von privaten Eskapaden, die nicht zum Verständnis der Handlung erforderlich sind. 

    Im Kern geht es um eine Frau (Iris Berben), die bei den Vernehmungen einer Mordkommission Protokoll führt und dabei Geschichten anhören muss, die dem ungeklärten Verschwinden ihrer eigenen Tochter im Milieu verzweifelt ähnlich klingen. In ihrem Zorn über die schrecklichen Verbrechen von Männern an Frauen wird sie von der Protokollantin selber zur Täterin.

    Die Darstellung der Figuren ist durchwegs meisterhaft, nicht nur die der beiden Protagonisten Iris Berben als Protokollantin und Peter Kurth als Chef der Mordkommission. Und das in Bildern von grosser Ruhe und Eindringlichkeit.

  • Westsahara, Ceuta und Melilla: Spanien muss endlich Schulden begleichen

    Westsahara heute (Enyavar/Wikimedia) und Westsahara-Flagge

    Spanien hat seine ehemalige Kolonie Westsahara 1975 fast fluchtartig verlassen, nachdem Marokko, welche das Territorium schon lange für sich beansprucht hatte, es militärisch angriff. Marokko besetzte schrittweise den grössten Teil von Westsahara, beutete dessen Reichtum an  Bodenschätzen und Fischgründen aus und überliess der rechtmässigen Bevölkerung, den Sahraouis, nur karge Gebiete im Hinterland. Hier leben nur noch gut 100,000 Sahraouis, während gegen 200,000 in Flüchtlingslagern in der Wüste bei Tindouf in Algerien leben.

    (mehr …)
  • Wie viel Subjektivität erträgt die Wissenschaft?

    Die neuste Ausgabe des Schweizer Forschungsmagazins «Horizonte» [1] widmet seinen Schwerpunkt der Frage nach der Objektivität in der Wissenschaft, genauer der Frage, wie viel Subjektivität und persönliche Betroffenheit in der Forschung zulässig sind. Am Beispiel von vier Forschenden mit eigener Erfahrung einer Behinderung oder sexistischer oder rassistischer Ausgrenzung wird deutlich, dass gerade die persönliche Betroffenheit ihre Forschung ermöglicht hat. Weitere Beiträge vertiefen die Frage nach der wissenschaftlichen Objektivität und deren historische Entwicklung.

    (mehr …)
  • Die Atombombe in Netanyahus Hand ist die reale Gefahr

    Benjamin Netanyahu (Foto: UK gov’t/Wiki) und Ali Khamenei (khamanei.ir/Wiki)

    Seit Jahrzehnten warnt die israelische Führung, der Iran werde «innert Kürze» die Atombombe haben. Warum erhält dann die israelische Armee den Befehl zum Angriff auf den Iran erst und ausgerechnet jetzt?

    Motiv 1: Die Mullahs dürfen die Bombe nicht haben

    Gehen wir zuerst einmal davon aus, das Ziel der israelischen Kriegseröffnung bestehe tatsächlich darin, zu verunmöglichen, dass der Iran Atombomben baut. Gehen wir weiter davon aus, dass es Israel wahrscheinlich nicht gelingen kann, das gesamte iranische Atomprogramm jetzt sofort in Schutt und Asche zu legen. 

    (mehr …)
  • Englisch als «Amtssprache» steht der Wissenschaft im Weg 

    Endlich spricht ein junger Akademiker [1] aus, was mich im Wissenschaftsbetrieb schon lange stört: der angloamerikanische Kulturimperialismus. Die Muttersprache von 95 Prozent der Weltbevölkerung ist nicht Englisch; aber heute muss jeder Wissenschafter auf Englisch publizieren, wenn er wahrgenommen werden will. 

    Der Turmbau zu Babel, unbekannter Künstler, 17./18. Jahrhundert (Wikimedia Commons)

    Englisch ist in den Wissenschaften nicht etwa die lingua franca, sondern die Amtssprache, ja: die Hochamtssprache. Für Forscher mit anderer Muttersprache ist das ein Spiessrutenlauf, wenn nicht gar eine unüberwindbare Hürde. Papers von Autoren, für die Englisch eine Fremdsprache ist, werden laut einer Studie des japanischen Biologen Tatsuya Amano zweieinhalb Mal so oft abgelehnt wie die von englischsprachigen, «simply because certain language standards weren’t met». Amano weist darauf hin, «dass die Wissenschaft viel zu verlieren hat, wenn sie die durch Sprachbarrieren verursachten Ungleichheiten ignoriert». Er fordert darum mehr Unterstützung in den wissenschaftlichen Institutionen für Autoren fremder Muttersprache, durch Lernpartner und durch Zugang zu hochwertigen Übersetzungsprogrammen. 

    (mehr …)
  • Too big to fail ist tot, es lebe die verkleinerte Bank

    Wenn Banken ihr Eigenkapital nicht so erhöhen wollen, dass es das von ihnen eingegangene Risiko absichert, bleibt nur die Zerschlagung von «too big to fail»-Banken.

    Bildgrundlage von Ank Kumar (Wikimedia Commons)

    Dass überbezahlte Top-Prädatoren wie der Häuptling der UBS sich gegen die Forderung nach Eine Erhöhung ihres Eigenkapitals wären und behaupten, das würde ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährden [1], ist nicht weiter erstaunlich – solche Leute haben schon immer auf Kosten von vielen anderen gewirtschaftet und bei missglückten Hochseilakte stets nach grossen bunten Fallschirmen geschrien, die sie auch meist bekommen haben, weil ihresgleichen in der Politik dafür gesorgt hat. Das Wirtschaftssystem hat das bisher einigermassen verkraftet; doch inzwischen hat das Risiko eines Zusammenbruchs der UBS ein Ausmass erreicht, dass die ganze Schweiz existenziell treffen könnte. 

    (mehr …)
  • Der richtige Mann zur falschen Zeit

    Über die Unmöglichkeit, anständig zu reagieren, wenn eine auf Krawall gebürstete Rechte das nicht will. Gute Analyse in der heutigen «Republik» [1]. Doch was nun?

    Foto: Joan Minder/Republik

    Müsste ich bewerten, welche Papabili aus meinem politischen Spektrum sich für den Job in der Schweizer Regierung besonders eignen, wäre Beat Jans unter den allerersten. Er will Lösungen gemeinsam erarbeiten, damit sie tragfähig sind, und er ist ausgesprochen anständig in Diskussionen; auch wenn diese heftig werden, verliert er nicht seine gewinnende Art. So habe ich ihn vor vielen Jahren als Mitglied der ziemlich bunten agrarpolitischen Allianz kennengelernt, und dafür schätze ich ihn bis heute sehr.

    (mehr …)
  • Schildkröten können nichts dafür

    Zeichnung aus «Letters From the Beasts to Dina» (Pamela Colman Smith, 1905 / Wikimedia Commons)

    Den ganzen Vormittag hatte ich vergeudet mit Verkehrsproblemen, bis ich endlich am Treffpunkt ankam. Es hatte damit begonnen, dass ich vergeblich versuchte, mit meinem Handy ein Billett zu lösen; schliesslich schaffte ich es in letzter Minute mit meiner Kreditkarte an einem Automat. Im fahrenden Zug fragte ich mich dann allerdings, ob die vorbeiziehenden Häuser wirklich zu der Strecke nach Zürich gehören. Als ich etliche Passagiere wahrnahm, die üblicherweise in der selben Richtung wie ich unterwegs waren, entspannte ich mich. Drei von ihnen erkannten mich, setzten sich in meine Nähe und begonnen herumzualbern und zu singen; einer klimperte dazu auf einer Gitarre, die er unversehens in der Hand hatte.

    (mehr …)
  • Künstliche Idiotie (KI) #4: Wir Idioten

    Schlägerei, Gemälde von Adriaen van de Venne aus dem 17. Jahrhundert

    Wenn statt tumber Algorithmen fortan die User auf den sozialen Netzwerken selber Polizei spielen sollen, wie es Zuckerberg vorschwebt, dann wird das kein Siegeszug der freien Rede, wie Musk behauptet, sondern noch mehr Krieg [1].

    In der Internet-Realität spielen User längst Räuber und Polizist, organisieren sich in Bubbles, die sie von Andersdenkenden säubern und von wo aus sie diese attackieren. Es herrscht längst Krieg auf den sozialen Netzwerken, und Frieden findet nur, wer sich eine kleine überschaubare Gruppe von Freunde schafft – doch genau das war ja nicht das Versprechen  sozialer Netzwerke, dafür hätte es genügt, bei den guten alten E-Mail-Gruppen zu bleiben.

    (mehr …)
Suche

Übersetzen · Translate

Kategorien


Alle Stichwörter · Keyword list

Angloamerikanischer Kulturimperialismus Aufghanistan Ausschaffung Bahn Biotechnologie Burka Carrara China Einwanderungspolitik Eisenbahn Energie Ernährung Ethik EU EU-Parlament Faschismus Gentechnologie Gesundheitspolitik Goya Great Game Inquisition Kapitalismus Kartell Krankenkasse Kunst Leidenschaft Mafia Malerei Marmor Migration Niqab Philosophie Politik Italien Politik Schweiz Robert Menasse SBB Spanien SVP Tierschutz Vegetarismus Verhüllungsverbot Vincent van Gogh Wissenschaftssprache ÖBB Österreich


Artikelarchiv · Articles by date