Schon ein einziger Tag Lektüre der «Kleinen Zeitung» (11.09.2012) genügt, den Dégoût vieler Menschen in Österreich zu verstehen – nicht aber deren Duldsamkeit, die Mitschuld trägt an den Verhältnissen.
Bundeskanzler Werner Faymann, Grazer Bürgermeister Siegfried Nagel, Kürbis für sterisches Kernöl
Feig und unerträglich
Bundeskanzler Faymann hat – wenn wir eine strenge politologische Regel anwenden – im Grunde schon verloren: weil er dementieren muss. Er muss dem Vorwurf entgegnen, dass von staatlichen Verkehrsunternehmen bezahlte Inserate mit seinem Konterfei als damaliger Verkehrsminister kein Polit-Marketing für ihn persönlich gewesen seien. Seit Jahren klumpen sich Enthüllungen, Gerüchte, Forderungen und Repliken um diese Frage betreffend Missbrauch von Amt und Steuergeldern.
Ich hab mir wieder mal einen tiefen Einblick in die hohe Politik gegönnt und frag mich einmal mehr: Wie behämmert muss man sein, um im Theater Politik eine Rolle zu erhalten und diese ein Weilchen durchzuhalten?Der Anlass: Der Budgetkompromiss der rot-schwarzen Regierung Österreichs, wegen der eben gehabten Wahlen taktisch verspätet und wegen kommender Wahlen taktierend zwischen Skylla und Charybdis bzw. zwischen roten und schwarzen Klientelen.
Der «rote» Kanzler verkündet erfreut, dass drei Viertel der neuen Steuererhöhungen die Wirtschaft treffen «und nicht auf die einzelnen Haushalte überwälzt werden können». Hat der Herr eigentlich auch mal was studiert?
Der «schwarze» Vizekanzler und Finanzminister seinerseits hält sich zugute, dass er eine «breite Vermögenssteuer» habe verhindern können – ist der Herr eigentlich Millionär?
Dafür holt der sogenannt christliche Kassenwart das Geld nun bei den Familien. Das ist kein Wunder: Eine Partei, welche noch immer die katholische Kirche mit ihrem unglaublich altertümlichen Frauenbild verteidigt (Priesterinnenverbot, Zölibat), kann von «Familienpolitik» vielleicht schwatzen – eine Ahnung von dem, was Familien sind und brauchen, haben die Herren offensichtlich nicht. Oder es ist ihnen in «höherem» Interesse wurscht.
Und eine Partei, welche die einmal erlangte Macht noch selten genutzt hat für jene, deren Stimmen sie erhielt, sondern schlicht zum Schutz endlich errungener Privilegien für Gewählte und Entourage, mag von «Sozialpolitik» schwatzen – eine Ahnung davon, wie Menschen ohne Privilegien leben und was sie brauchen, haben diese Obergenoss/innen offensichtlich nicht. Oder sie haben den Mut nicht, am Tisch der Reichen zu den Armen zu stehen.
Die zweitägige Übung der gesamten Regierung in einer Therme (wo man die Dinge so schön baden gehen lassen kann) bringt für 2011 Einsparungen von anderthalb Milliarden Euro. Zwei Drittel dieses Effekts hätte man mit einem simplen Federstrich und ohne teure Luxusklausur erzielen können: Durch sofortige Streichung der Frühpension («Hacklerpension») würde den Staatshaushalt 2011 um eine Milliarde entlasten. Einst für Schwerarbeiter eingerichtet, diente sie zunehmend als Dank für geleistete Bürodienste. Weil von andern hart erkämpfte Errungenschaften besondere Freude machen, mochten sich die vereinigten Privilegienvertreter nicht davon verabschieden; einzigen Neulingen soll der Zugang zur staatlich finanzierten Frührente erschwert werden.
Ehrlich und politisch wär’s, als Regierung hinzusehen und zuzugeben: Leute, erstens haben wir’s nicht geschafft, das Geld dort zu holen, wo es wirklich ist, und darum gilt zweitens und bis auf weiteres, die Ausgaben den vorhandenen Mitteln anzupassen, damit ihr drittens mithelft, eine Politik durchzusetzen, welche das fehlende Geld für nötige Dinge nicht länger bei jenen holt, die eh zuwenig davon haben.
Das wäre Politik, da würden die Interessen blank gelegt.
Stattdessen wird heute Politik bloss im Reden gemacht, und bloss pro domo. Besonders schön hat das die Verkehrsministerin demonstriert, nach jenen zwei Tagen in der Therme. Gefragt von der Kleinen Zeitung, was denn die Sparbeschlüsse für die längst geplanten Tunnelbauten nun bedeuteten, führte sie aus: «Ich bin immer schon für den Ausbau der grossen Verkehrsachsen eingetreten, und zwar aus verkehrs- und umweltpolitischen Gründen. Mir war es besonders wichtig, dass auch die langfristige Finanzierung…» usw. usf. Auf die Nachfrage der Kleinen Zeitung, was das denn nun konkret heisse, fuhr sie unbeirrt fort: «Ich habe immer gesagt, dass…»
Die Dame, seit «immer», nämlich zwei Jahren im Amt, gehört nur zufällig zu einer SP und ist nur zufällig in Österreich zuhause – sie und ihre Regierungskollegen könnten auf ähnliche Weise überall in Europa für jede erdenkliche Partei tätig sein…
Wenn es etwas gibt, was mich bei derlei Beobachtungen halbwegs froh macht, dann dies: Dass diese Politiker/innen die Scheisse, die sie und ihre Vorgänger angerichtet haben, nur verwalten. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn sie auf die Idee kämen, sie auch noch zu gestalten.