Was unterscheidet den Mensch vom Tier? Immer weniger, wie die Forschung zeigt. Jedenfalls, wenn es um sogenannt höhere Tiere geht, die uns irgendwie ähnlich sind. Doch wie ist das denn bei anderen Tieren?
Eine neue Studie hat sogar herausgefunden, dass Schimpansen ihre Entscheidungen überdenken und ihr Handeln ändern können, wenn ihnen neue Informationen zur Verfügung stehen [1]. Für das Experiment wurde Nahrung in verschiedenen, aber gleich aussehenden Kisten versteckt. Zusätzlich erhielten die Versuchstiere starke oder schwache Hinweise darauf, in welcher Kiste sich Nahrung befinden könnte. Danach wurden die Hinweise noch ergänzt um die Angabe, in welcher Kiste sich noch mehr Nahrung befinden könnte. Es zeigte sich, dass die Schimpansen die Wahl der Kiste dementsprechend veränderten. [2]
Die neuste Ausgabe des Schweizer Forschungsmagazins «Horizonte» [1] widmet seinen Schwerpunkt der Frage nach der Objektivität in der Wissenschaft, genauer der Frage, wie viel Subjektivität und persönliche Betroffenheit in der Forschung zulässig sind. Am Beispiel von vier Forschenden mit eigener Erfahrung einer Behinderung oder sexistischer oder rassistischer Ausgrenzung wird deutlich, dass gerade die persönliche Betroffenheit ihre Forschung ermöglicht hat. Weitere Beiträge vertiefen die Frage nach der wissenschaftlichen Objektivität und deren historische Entwicklung.
Endlich spricht ein junger Akademiker [1] aus, was mich im Wissenschaftsbetrieb schon lange stört: der angloamerikanische Kulturimperialismus. Die Muttersprache von 95 Prozent der Weltbevölkerung ist nicht Englisch; aber heute muss jeder Wissenschafter auf Englisch publizieren, wenn er wahrgenommen werden will.
Der Turmbau zu Babel, unbekannter Künstler, 17./18. Jahrhundert (Wikimedia Commons)
Englisch ist in den Wissenschaften nicht etwa die lingua franca, sondern die Amtssprache, ja: die Hochamtssprache. Für Forscher mit anderer Muttersprache ist das ein Spiessrutenlauf, wenn nicht gar eine unüberwindbare Hürde. Papers von Autoren, für die Englisch eine Fremdsprache ist, werden laut einer Studie des japanischen Biologen Tatsuya Amano zweieinhalb Mal so oft abgelehnt wie die von englischsprachigen, «simply because certain language standards weren’t met». Amano weist darauf hin, «dass die Wissenschaft viel zu verlieren hat, wenn sie die durch Sprachbarrieren verursachten Ungleichheiten ignoriert». Er fordert darum mehr Unterstützung in den wissenschaftlichen Institutionen für Autoren fremder Muttersprache, durch Lernpartner und durch Zugang zu hochwertigen Übersetzungsprogrammen.
Schlägerei, Gemälde von Adriaen van de Venne aus dem 17. Jahrhundert
Wenn statt tumber Algorithmen fortan die User auf den sozialen Netzwerken selber Polizei spielen sollen, wie es Zuckerberg vorschwebt, dann wird das kein Siegeszug der freien Rede, wie Musk behauptet, sondern noch mehr Krieg [1].
In der Internet-Realität spielen User längst Räuber und Polizist, organisieren sich in Bubbles, die sie von Andersdenkenden säubern und von wo aus sie diese attackieren. Es herrscht längst Krieg auf den sozialen Netzwerken, und Frieden findet nur, wer sich eine kleine überschaubare Gruppe von Freunde schafft – doch genau das war ja nicht das Versprechen sozialer Netzwerke, dafür hätte es genügt, bei den guten alten E-Mail-Gruppen zu bleiben.
Reconstruction of a Cucuteni–Trypillia settlement of 320 hectares for about 22,000 people near Talianki, Ucraine, 3700 BC. (Credit: Kenny Arne Lang Antonsen / Wikimedia Commons.)
Correcting cherished beliefs:
One of Europe’s longest-lived civilisations, the so-called Cucuteni-Trypillia in central-eastern Europe, could live in cities consisting of up to 3,000 houses, all of the same size, style and layout, with no sign of social hierarchy. After more than 2,000 years of existence, the culture disappeared around 3400 BC. Scientists have not yet been able to determine the reason for the cities‘ demise. Various factors probably played a role: a climate shift towards lower temperatures had a negative impact on the sedentary and self-sufficient agrarian and possibly matriarchal society and made it vulnerable to invasion by nomadic and patriarchal peoples from the east. [1]
Die Menschen haben keine Zeit, Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut, die Konkurrenz darum ist enorm – also sag es kurz!
Doch weil das Schreiben von einleuchtenden Slogans und lange nachwirkenden Aphorismen eine Kunst ist, die wenige beherrschen, gerät die Verkürzung meist zur Verflachung: Der Text bleibt an der Oberfläche, bewirtschaftet einen isolierten Aufreger, leuchtet keine Zusammenhänge aus.
Image of a human brain organoid stained with DAPI (teal) and VIPR2 (magenta). (Credit: Nreis1/Wikimedia)
Many bother about „artificial intelligence“. Should we bother more about brain models built on tissue from aborted foetuses? I suggest that we bother first of all about the enormous lag in ethical and social development of ourselves.
Humankind is still a long way from understanding how to evolve into a society of peaceful, compatible beings who live in respect for all living beings, including themselves—let alone from recognising this situation and trying to get out of it.
Ein Streifenhörnchen beim Winterschlaf (Foto: Michael Himbeault / Wikimedia Commons)
Vorgestern mochte ich schon am Morgen kaum aus dem Bett, sehr müde und sehr schlapp. Ich stand bloss auf, um meine Katze rauszulassen und mir eine Kanne Tee zu kochen. Abgesehen von weiteren kurzen Aufenthalten für ähnliche Zwecke verbrachte ich den ganzen Tag sehr faul im Bett, bis gestern morgen um elf Uhr. Dann entdeckte ich als Erstes auf Facebook bei Thomas Grünwald ein kleine kleine Ode an den Winterschlaf – und war hellwach: Meine Rede seit Jahren!
Tatsächlich täte es uns und der Menschheit und allen den Planeten mit uns teilenden Lebewesen gut, wenn wir dem Rhythmus der Jahreszeiten folgen und unser emsiges Tun in den kalten Monaten herunterfahren würden. Zumindest in Europa und Nordamerika tut der moderne Homo sapiens, wie ich ihn als Sozialpsychologe kennen gelernt habe, eher das Gegenteil: Er geniesst im Sommer die langen freien Abende, doch wenn der Herbst in den Winter übergeht, verfällt er in hektischen Aktivismus, weil er vor Weihnachten und Jahresende noch so viel erledigen muss, als könnte das nicht bis zum Frühling warten.
The noble task of a university professor is to enable students to become candid scientists. Some of them will then follow the road of research, which is but one part of science, being the motor of knowledge production. Others will opt for opportunities to apply such knowledge, or will teach what they learnt to students, or will do something far from the science they have been trained in.
Zur kleinen Universität im helvetisch-mondänen Lugano gehört eines der weltweit führenden Institute für Künstliche Intelligenz (KI). Hier lehrt und forscht nebst anderen Jürgen Schmidhuber, ein nett aussehender Professor aus Bayern, der gern grobe Dinge sagt, wie jüngst im Interview mit einem Kulturredaktor des Tages-Anzeigers. Über die Folgen seines Forschens etwa: «Der Mensch wird keine dominante Rolle mehr spielen», oder: «Bewusstsein ist ein Nebenprodukt der Datenkompression». Er provoziert aber auch gern mit Sätzen über Dinge fern seiner Wissenschaft, wie: «Die Erfindung des Kunstdüngers war das wichtigste Ereignis im 20. Jahrhundert».
Ich war, als ich Sozialpsychologie studierte, fasziniert von experimenteller Forschung, und Stanley Milgram war für mich ein Vorbild. Leider ist sein berühmtestes Elektrofolter-Experiment oft missbraucht worden als Beleg für die Schlechtigkeit des Menschen, und es ist wohl nicht so zufällig, dass seine Fortsetzung mit einer dritten, widerständigen Person nie so bekannt geworden ist – schliesslich hat ja irgend jemand seine Forschung finanziert, und wer genügend Geld hat, mag Widerständige nicht so sehr…
Ein anderes Experiment in Milgrams Nachfolge wurde von Jonah Berger durchgeführt, der an der Wharton School an der Universität von Pennsylvania forscht und lehrt. Ort: Wartezimmer einer Augenklinik. Eine Gruppe von angeblich wartenden Patienten wird instruiert, sich jedesmal vom Sessel zu erheben. wenn ein Signalton ertönt. Eine ahnungslos hinzukommende echte Patientin, violett gekleidet, bleibt zunächst sitzen, folgt dann aber dem Beispiel der Gruppe, als zum dritten Mal ein Signalton zu hören ist. Danach werden die gespielten Patienten der Reihe nach aus dem Wartezimmer gerufen, bis die Dame in Violett ganz alleine im Raum sitzt; sie erhebt sich dennoch bei jedem weiteren Ton. Dann kommt ein weiterer echter Patient hinzu, der erst staunt, als sich die Damen beim Signalton erhebt, doch beim dritten Mal fragt, warum sie das tue. Sie habe das halt so in der Gruppe der zuvor Wartenden erlebt und mitgemacht, erklärt sie. Weitere echte Patienten kommen hinzu, alle übernehmen sie das Verhalten, ein einziger mit sichtbarem Widerwillen, dann aber doch.
Nach Abschluss Experiments erklärte die inzwischen aufgeklärte Dame in Violett, da alle Wartenden sich beim Signalton erhoben, habe sie gedacht, sie müsse dsas auch tun, um nicht ausgeschlossen zu werden; sie habe sich so wohler gefühlt.
Ich teile die nachfolgende Vermutung, von Charlotte Heer Grau, dass im eben vorgestellten stand-up-Experiment eine obstruktiv sitzenbleibende Person zu deutlich anderen Resultaten führen würde.
«Ein spannendes Experiment, nicht so spektakulär und verstörend, wie die Experimente von Stanley Milgram in den 60ger Jahren, aber wohl genau so aussagekräftig. Unsere Sozialiserung formt uns, macht uns zu den Menschen, die wir sind. Wir wissen es eigentlich, spätestens seit Milgram. Zur Kenntnis nehmen will es doch kaum jemand. Milgram hat eines seiner Experimente ausgeweitet, damals. Aber über diese Versuchsanordnung wird nie gesprochen. Er führte einen dritten Schauspieler ein. Dieser widersetzte sich und wurde so zu einem Modell für die weiteren Versuchspersonen. Es waren in der Folge weniger Versuchpersonen bereit, so zu agieren, wie von ihnen verlangt. Ich behaupte: Würde man diesen Versuch hier mit einer Person ergänzen, die nicht nur nicht aufsteht, sondern die Situation auch zu diskutieren beginnt, es würden sich weitere Testpersonen „wehren“. Der Mensch ist ein lernendes Wesen. Hat er sich allerdings daran gewöhnt, dass „Autoritäten“ sagen, was Sache ist, ist es für sie ungleich schwerer, aus hergebrachten Mustern auszubrechen. Würden sie von Kind an lernen, dass man Dinge in Frage stellen kann, hätten sie es sehr viel einfacher, sich gegen unmenschliche, dumme, sinnlose Anordnungen, (Gebräuche, Verhaltensmuster, Denkweisen, Rollenklischees und weiteres mehr) zu wehren. Hier, meine ich, ist die Rolle der Medien so immens von Bedeutung. Eine Bedeutung, deren sich viele JournalistInnen nach wie vor nicht bewusst sind. – Und ja, ich habe hier alles in allem enorm verkürzt. Die Thematik ist komplex. Aber hier lohnt es sich, weiter zu denken!»
Für die politische Praxis lässt sich ableiten: Es ist entscheidend, in Erziehung und Schule und peer groups Menschen darauf vorzubereiten, in Situationen kollektiven Drucks der eigenen Überzeugung treu zu handeln. Wir brauchen solche «Kristallisationskerne», um die herum sich Widerstand formieren kann. Und wir brauchen viele Menschen, die fähig sind, den Anfang zu machen, denn das sollte nicht immer den gleichen Wenigen überlassen bleiben, schon aus demokratietheoretischen Überlegungen nicht.
PS: Übrigens sind Linke nach meiner Erfahrung genau so anfällig auf Konformitätsdruck und haben eine Ertüchtigung zum selbständigen Denken und zum Widerstand nicht weniger nötig als andere. Ich sage das hier nur der Vollständigkeit halber. Es soll nämlich nachher niemand kommen und sich damit herausreden, er/sie habe es nicht gewusst, weil ich es nicht speziell erwähnt hätte… Und nein, es gibt kein automatisches Widerständigkeits-Zertifikat für Linke.
Jedes neue Jahr, ja: jeder neue Tag birgt die Möglichkeit des Neuanfangs. Schon morgen könnten die Menschen aufstehn und sagen: Wir zahlen keine Schulden zurück, wir erlassen alle Schulden und wir teilen künftig alles untereinander, was die Erde für uns bereit hält, so dass kein Mensch mehr arm ist und keiner reicher als die andern. * Träumen ist möglich, nicht träumen macht alles unmöglich.
Chaque nouvel an, même chaque nouveau jour comporte la chance d’un nouveau départ. Demain déjà les êtres humains pourraient se lever et dire: Nous ne remboursons plus des dettes, nous renonçons à toutes créances et désormais nous partageons tout ce que la terre tient prêt pour nous, ainsi que personne ne soit plus pauvre et personne ne soit plus riche que l’autre.
Rêver c’est possible, ne pas rêver rend tout impossible.
Each new year, even each new day holds the chance of a new beginning. Already tomorrow humans could rise and say: We don’t pay any debts no more, we erase any debts and we will share henceforth everything that earth has ready for us. Thus nobody will stay poor and nobody will be richer than the other.
Dreaming is possible, not dreaming makes everything impossible.
Ogni anno nuovo, persino ogni giorno nuovo comporta la prospettiva di un nuovo inizio. Già domani gli umani potrebbero levarsi e dire: Non restituiamo più debiti, sdebitiamo tutti e in seguito condividiamo tutto quello che la terra ci riserva affinché nessuno sia povero e nessuno sia più ricco que l’altro.
Sognare è possibile, non sognare rende tutto impossibile.
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* Mehr dazu in meinem Blog «Über den bedingungslosen Anteil jedes Menschen an der Welt».
Fein auf den Punkt gebracht hat es einer der für mich besten Schweizer Poeten des 21. Jahrhunderts, der bürgerlich nonkonforme Mani Matter, in einem seiner Lieder:
dene wos guet geit
giengs besser
giengs dene besser
wos weniger guet geit
was aber nid geit
ohni dass’s dene
weniger guet geit
wos guet geit
drum geit weni
für dass es dene
besser geit
wos weniger guet geit
und drum geits o
dene nid besser
wos guet geit
Ein Bild der koreanisch-deutschen Theologin Sung-Hee Lee-Linke: Wahrheit ist wie Wasser, Du kannst sie nicht in Deiner Hand behalten, sie fliesst Dir weg; denn Du besitzst sie nicht.