Schimpansen können rational handeln – nur sie?

Ameisen (Foto: Thomas Netsch / Wikimedia Commons)

Was unterscheidet den Mensch vom Tier? Immer weniger, wie die Forschung zeigt. Jedenfalls, wenn es um sogenannt höhere Tiere geht, die uns irgendwie ähnlich sind. Doch wie ist das denn bei anderen Tieren?

Eine neue Studie hat sogar herausgefunden, dass Schimpansen ihre Entscheidungen überdenken und ihr Handeln ändern können, wenn ihnen neue Informationen zur Verfügung stehen [1]. Für das Experiment wurde Nahrung in verschiedenen, aber gleich aussehenden Kisten versteckt. Zusätzlich erhielten die Versuchstiere starke oder schwache Hinweise darauf, in welcher Kiste sich Nahrung befinden könnte. Danach wurden die Hinweise noch ergänzt um die Angabe, in welcher Kiste sich noch mehr Nahrung befinden könnte. Es zeigte sich, dass die Schimpansen die Wahl der Kiste dementsprechend veränderten. [2]

Nach diesem Muster wird immer weiter geforscht – und gestaunt: Wow, was diese Affen können, fast wie wir! Dass jedes Lebewesen sich rational verhalten und Entscheidungen aufgrund neuer Bedingungen revidieren muss, um zu überleben: auf diese naheliegende Idee kommt man in der Welt der Wissenschaft offenbar kaum. 

Die Frage ist eben, was unter rationalen Handeln verstanden werden soll. Solange wir von uns selber ausgehen und Experimente anstellen, die für uns Sinn machen, werden wir bestenfalls Einblick in das Verhalten von Tierarten gewinnen, deren Evolution für lange Zeit auch die des späteren Homo sapiens war. Spezies hingegen, deren Evolution viel früher einen anderen Weg als den von Säugetieren einschlug, werden wir so kaum verstehen können. Das zeigt etwa auch das beliebte Spiegelexperiment, mit dem festgestellt werden soll, ob ein Tier sich selber erkennen kann; einige wenige so genannt höhere Tierarten schaffen das, die meisten fallen durch.

Die Frage an das Leben anderer Arten, an das Leben überhaupt, wird meist schlicht falsch gestellt. Was hat ein Spiegel in der Lebensrealität einer Ameise verloren, was das menschgedachte Versteckspiel im Leben eines Wurms? Wir können unserer Art fremde Lebewesen nicht verstehen, solange wir uns nicht in deren Mokassins stellen. 

Es gibt einige Bücher, die helfen, den anthropozentrisch blinden Fleck wenigstens in unserem Denken über andere Lebensformen etwas zu überwinden. Zwei Empfehlungen: 

Das eine Buch wurde schon 1991 vom US-amerikanischen Zoologen und Insektenkundler William Jordan geschrieben und 1993 auf Deutsch verlegt [3]. Jordan führt uns in die so verschiedenen Lebenswelten von Ratten, Tauben, Küchenschaben oder Schlangen ein. Auch wenn er sich dabei manchmal ein Witzchen über die kleine Hirnmasse einer Tierart nicht verkneifen kann, zeigt er doch engagiert, wie ein Tier aus seiner biologischen Gegebenheit verstanden und für seine Fähigkeiten bewundert werden kann. 

Das zweite Buch stammt vom vielseitigen britischen Künstler und Technologieautor James Bridle, das 2022 erschien und seit 2023 in einer deutschen Übersetzung vorliegt [4]. Unter dem programmatischen Titel «Die unfassbare Vielfalt des Seins: jenseits menschlicher Intelligenz» lädt der Autor zu einem erhellenden Streifzug durch die Lebensrealitäten von Tieren, Pflanzen, Maschinen und von uns selber ein. Ich glaube nicht, dass man dieses Buch nach vollständiger – und spannender! – Lektüre weglegen kann, ohne ein paar Missverständnisse über die Stellung des Menschen im Kosmos grundlegend korrigiert zu haben. Und während der Lektüre fragt sich mancher wohl, wie rational denn wir Menschen handeln.


Diskussion

Eva: Aber seit wann tragen Tiere Mokassins??
Und Raben wären auch auf der Liste der Intelligenten.

Peter: Für mich als ehemaliger Biologe eines der spannendsten Themen… In vielem noch völlig unbekanntes Gebiet, vor allem weil unsere menschliche Arroganz ja lange solche kognitiven Qualitäten dem Tierreich nicht zusprechen wollte! Aber wo sollte sie sonst entstanden sein, die menschliche Kognition, wenn nicht im Tier- (und auch Pflanzen-) Reich? ¨Über Millionen von Jahren herausgebildet und als «Geschenk» der Gattung Mensch in den Schoss gelegt!

Billo: Eva, es geht hier wie gesagt nicht bloss um die bereits als «intelligent» bekannten Tiere!


Quellen und Literatur:
[1] Radio SRF (2025): «Neue Studie: Schimpansen können Entscheidungen überdenken»
[2] Science (2025): «Chimpanzees are natural scientists»
[3] William Jordan (1991): «Divorce amomng gulls – an uncommon look at human nature», North Point Press – deutsch: «Wenn Möwen auseinader gehen, oder: Benehmen wir uns wie die Tiere?»,  Ernst Kabel Verlag, 1993
[4] Jamnes Bridle (2022): «Ways of Being: Animals, Plants, Machines. The Search for a Planetary Intelligence» – deutsch: «Die unfassbare Vielfalt des Seins: jenseits menschlicher Intelligenz»,  Verlag C. H. Beck, 2023


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