Peter Handke: «Noch immer Sturm»

 

 

 

 

 

Ich bin kein Handke-Leser, kannte seine Bücher nicht, ein zwei Auszüge, mehr nicht. Interviews mit dem alten Autor in seinem Heim bei Paris haben mich auf ihn aufmerksam gemacht: seine ruhige, nachdenkliche Art des Redens. Als mich mein Bruder (wir schreiben beide gern) unlängst fragte: Kennst Du Handke? Nicht? Lies das, es ist fantastisch, nahm ich das Buch gerne mit auf meine Reisen.

Ich musste mir das Gefühl für die Sprache, die Handke für diesen Roman oder was es ist entwickelt hat, richtig erarbeiten, musste mich anfangs oft mühsam durch die dornigen, spröden Dialoge hindurch lesen zum Zorn und zur Zärtlichkeit, die beide diese Geschichte um ein Volk prägen, das von der Geschichte und von den Menschen, den österreichischen zumal, wiederholt verraten worden ist. Das Volk von Handkes Mutter, das Volk der Slowenen im Süden Kärntens, denen die fremde Sprache übelgenommen, denen sie je nach politischem Wind gar verboten wurde.
Handkes «Sturm» ist eine liebevolle und widerborstige Auseinandersetzung mit seiner Herkunft, zugleich eine Solidaritätserklärung an seine Ahnen, in der er sich – hätt ich’s anders getan in seinem Zorn? – zur Aussage versteigt, es sei der Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft in Österreich von Slowenen alleine getragen worden und es sei umso ungerechter, dass nach der Befreiung Österreichs die Kärtner Slowenen schon wieder für ihre Sprache und ihre eigene Art kämpfen mussten.

Letzteres ist richtig; der jahrzehntelange «Ortstafelstreit» war nichts als eine Provokation von verhockten Kärtner Rechtsaussennationalisten. Ersteres hingegen ist zwar individuell verständlich, historisch aber falsch – siehe Presterl, «Hochschwab».

Dem Gewinn der Lektüre tut das aber keinen Abbruch. Gegen den Schluss der Geschichte erweist sich immer klarer, dass sie genau in dieser sperrigen, ungeglätteten, gelegentlich beirrend regelwidrigen Sprache erzählt werden muss. An der Sprachgrenze, eben. Meisterhaft.

Peter Handke: «Immer noch Sturm». Suhrkamp, 2010, Taschenbuch 4323 (2012), 166 S., ISBN 978-3-518-46323-9
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