Die zuständige Behörde des Kantons Zürich hat auf mein umfangreich begründetes Gesuch hin fast umgehend bewilligt, dass ich fortan offiziell so heisse, wie ich mich schon lange nenne. Damit sind mein Schweizer Pass und meine ID ab sofort ungültig. Also fährt das Landei aus dem hintersten Friaul sechs Stunden lang mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Schweizer Konsulat in Milano, in eine Stadt, die schon seit je viel zu gross ist für mich, so sehr, dass ich mich jedesmal in den Häuserschluchten verliere.
Doch diesmal ist es ganz einfach: zwei Stationen mit der gelben Metro, bis Turati, dann gradeaus weiter bis zu einem Park, diesen nach links halb umrunden und über die Strasse zum hohen hellen Gebäude, dessen Foto ich mir von der Konsulatswebsite ausgedruckt hab, samt einem vergrösserten Ausschnitt von Google Maps, um mich an markanten Punkten orientieren zu können, da auf eine erkennbare Beschriftung der Strassen nicht immer Verlass ist. Fünf Minuten zu Fuss, sagt Google. Da kann wirklich nichts schief gehen.
In meiner kleinen Stadt, Cividale del Friuli, mach ich alle Besorgungen zu Fuss und bin in höchstens zehn Minuten am gewünschten Ort. Ich bin also gut trainiert und ziehe los. Nach knapp drei Minuten erscheint links ein kleines Pärklein, kaum der Rede wert; das kann es nicht sein, also weiter, dort vorn winkt wesentlich mehr Grün. Doch dann seh ich vor allem sehr hohe Gebäude, Paribas und weiss der Geier, nur keines wie auf der Foto, die ich immer wieder prüfend anschaue. Hm. Ich frage Passanten, die irgendwie mailändisch aussehen, nach der Via Palestro. Zwei schütteln den Kopf, sind in Eile. Der dritte bleibt stehen, überlegt: Quer durch den Park da drüben, doch da könnten Sie sich verlaufen, also besser zum Corso Buenas Aires (ah, gut, an den erinner ich mich von einem früheren Irrweg), dort rechts einbiegen und bis zur Palestro gehen. Ist aber ein Stück, sagt er, und fügt mit einem Blick auf mein Schuhwerk bei: Sie sind ja gut zu Fuss. Uff! Kann ich mich dermassen verlaufen haben? Nun, ich bin einfach froh um den kundigen Rat…
Alles gradeaus, hat er gesagt. Ich kreuze Strasse um Strasse, aber Buenos Aires scheint unerreichbar. Ganz am anderen Ende der Piazza Repubblica frag ich eine hilfsbereites junges Paar, das mich nach rechts in den Viale Tunisia schickt, und immer gradeaus, bis zum argentinischen Tango, äh, Corso. Dort schwenk ich hoffnungsvoll nach rechts, aber von einer Seitenstrasse Palestro keine Spur. Wieder Passanten fragen. Ein netter Herr meint, ich müsse eben noch weiter dem Corso entlang, bis zu dem grossen Stadttor mitten in der Strasse dort vorn, der Porta Venezia. Dort angekommen, frag ich einen Strassenverkäufer, ob dies da rechts die Palestro sei; er nickt. Als ich beim Weitergehen endlich eine Anschrift der Strasse entdecke, heisst sie ziemlich anders. Ein anderer netter Herr macht sich echt Mühe, in seinem Handy den Weg zu suchen. Am sichersten wär’s meint er, wenn ich hinter der Porta Venezia gradeaus weiterginge, dem Corso Venezia entlang, bis nach einiger Zeit die Palestro rechts abzweige. Okay, nix wie hin. Ich bin schon mehr als 15 Minuten zu spät für den gebuchten Termin; hoffentlich sind die dort im Konsulat ein bisschen italienisch…

Tatsächlich, hier endlich zweigt die Palestro ab, beginnt bei einer Nummer über 20; ich muss in die 2. Lauter lange Gebäude, ich gehe rascher. Trimmdichlokale heissen in Italien Palestra, passt, ich bin schon ganz verschwitzt. Kurz bevor ich endlich Nummer 2 erreiche, einen nüchternen Bau vor dem sehr hohen Centro Svizzero, entdecke ich gegenüber den Platz, über den ich vor zwanzig Minuten schon geradeaus weiter geeilt war. Ich war wohl wie immer viel zu rasch unterwegs gewesen; wofür andere laut Gugellugel fünf Minuten brauchen, hätt ich mich schon nach weniger als drei Minuten um das bisschen Grün herum nach links halten müssen, das sich dabei als grosser Park entpuppt hätte, um den mich alle im grossen Bogen herum dirigiert hatten, wohl aus Angst, im Park würd ich mich eh verirren. Ich war knapp am Ort vorbeigeeilt, an dem ich früh anzukommen geplant hatte, um mir vor dem Termin noch einen caffè zu gönnen. (Den gab’s dann hernach, unten im Swiss Corner, italienisch gut, aber in metrapolitaner Arroganz serviert.)
Vielleicht geschah’s auch nicht aus Rücksicht auf meine offensichtliche Desorientiertheit in einer unmenschlich riesigen Stadt. Es gibt Kulturen, in denen es als unhöflich gilt, einem Fremden, der nach dem Weg fragt, keine Antwort zu geben, wenn man’s selber nicht so genau weiss; also besser, man sagt irgendwas als gar nichts. Vielleicht ist das in Italien auch so? Ich nehm’s als Lehre mit nach einem mehr als drei Kilometer langen Umweg, dem ich das tägliche Lauftraining verdanke, das dieser Reise wegen ja an diesem Tag sonst ausgefallen wär.
Im Konsulat wurde ich übrigens trotz Verspätung sehr zuvorkommend italienisch empfangen, die Prozedur mit Foto und Fingerprints ging danach helvetisch effizient und rasch über die Bühne. Danach liess ich mir den Weg zur U-Bahn genau erklären und war froh, schon bald wieder im Zug heimwärts zu sitzen. Wie sagte der alte Appenzeller Bauer, der sich mal eine Reise nach Paris geleistet hatte, als ihn seine Kollegen nach der Rückkehr fragten, wie’s denn gewesen sei? Heillos abgelegen. Jo weleweg, wüüsch globe!
Kommentare, Fragen
bitte an mich senden an, samt der Angabe, ob ich den Kommentar hier unter deinem Namen veröffentlichen darf.