Dieser Familie verdanke ich mein  Leben

Schon in meinem ersten Lebensjahr bin ich gefeiert worden, vor 76 Jahren. Die Foto ohne Datum aus dem Familienfundus muss von meinem Vater wohl nach meiner Taufe geknipst worden sein – ein Anlass, der mich aber nicht kirchlich zu prägen vermochte.

Vaters Schwester, meine Taufpatin, hält mich stolz in den Mittelpunkt, sekundiert von ihrem älteren Bruder, meinem Taufpaten und Held meiner Bubenträume. Er war Flugzeugingenieur, Schöpfer des kurzlebigen Kampfjets P16 und damit meine moralische Stütze, wenn im Dorfladen die Hausfrauen sich immer vordrängten, als zählte meine Wartezeit weniger als die ihre – ich ballte dann die Faust im Sack und dachte zornig vor mich hin: Ihr wisst ja gar nicht, wer mein Onkel ist, und wenn ich erst gross bin, wartet nur, da bau ich ein Flugzeug mit einem Überschallknall, der euch noch mehr erschrecken wird!

Rechts vom Flugzeugbauer meine Mutter, womöglich erleichtert, dass ich mich nach schwierigen ersten Lebenswochen alleine in der Isolette offensichtlich wohl fühlte in so grosser Gesellschaft. Ganz rechts der Vater meines Vaters, ein Bauingenieur und ein Ehrenmann von Manieren, der meine Mutter nach einem feinen Mahl bei uns zuhause immer wieder aus der Fassung brachte mit seiner Art zu loben: Kolossal, das war der zweitschönste Tag meines Lebens – he ja, das Lob für den allerschönsten Tag soll man nicht vorzeitig vergeben… 


Explosion eines Dampfkochtopfs

Zu meiner andern Seite die Mutter meines Vaters, eine sehr feine und bescheidene Frau, bei der ich oft und gerne zu Besuch war und die mich einmal wöchentlich bekochte, nach meinen Wünschen, am liebsten eine grosse Schale voll mit verschiedensten Salaten, Rotkohl durfte keinesfalls fehlen. Sie selber sass mir gegenüber, bewunderte einen Appetit und feuerte ihn nötigenfalls noch an mit ihrem Sprichwort als Kriegszeiten: Lieber Magen und Darm versprängt, als em Wirt en Rappe gschänkt!

Dass ich noch am Leben bin und es nicht im Alter von zehn Jahren beenden musste, habe ich unter anderem dem Umstand zu verdanken, dass der Deckel des Dampfkochtopfs, der ihr einst bei meiner Ankunft von der Schule zum Festmahl vor ihrer Hand in der Küche explodierte und in rasendem Flug eine Kerbe in den Türpfosten schlug anstatt zehn Zentimeter weiter rechts in meinen Kopf. Grossmutter hörte schlecht, sie hatte gar nicht mitbekommen, was passiert war; erst als sie mein wohl etwas blasses Gesicht sah, fragte sie, was los sei. Als ich ihr die Kerbe zeigte, erschrak sie dann doch ein wenig. Das Essen sei jedenfalls bereit, meinte sie dann, sie habe eben den Deckel vom Topf lösen wollen. Die Schadenanalyse zeigte später, dass eine Nut am Schweizer Präzisionstopf altershalber abgebrochen war. Als begeisterter Kochzeit seit früher Kindheit begegnete ich Dampfkochtöpfen fortan mit Respekt, nutzte sie so selten als möglich und in späteren Jahren gar nicht mehr.


Zufällige Bekanntschaft und ewige Liebe

Neben meiner Grossmutter die Frau des Flugzeugingenieurs, eine elegante Engadinerin und Mutter meiner fünf geliebten Cousinen und Cousins väterlicherseits. Ganz links die Schwester meiner Mutter, und neben ihr der Bruder, dem ich genau genommen mein Leben verdanke. Und das kam so: Im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs dienten Koni, der fünfzehn Jahre ältere Bruder meiner Mutter Hedi, und Heinz, mein Vater, im selben Schweizer Regiment. Als die Division ein Fest für die Offiziere ansetzte, fand Heinz dies deplatziert und war entschlossen, nicht daran teilzunehmen. Koni, sein Vorgesetzter, konnte ihn schliesslich überreden, mitzugehen. Koni hatte wie so oft auch seine junge und attraktive Schwester eingeladen, mit der er gerne etwas aufschnitt. Doch bald wurde das Fest für Koni zum Albtraum: Hedi war plötzlich verschwunden, und Heinz ebenso. Ihm schwante Unheil; denn der schneidige Heinz hatte einen Ruf als Frauenheld. Überall suchte Koni nach seiner Schwester: Händ er d’Hedi xeh? Seine Offizierskollegen machten sich einen Spass daraus: Ja, si isch mit em Heinz go schpaziere… Und so kam es dann, als der Krieg endlich vorbei war und meine Mutter auch nicht mehr für ihre inzwischen verstorbenen Eltern sorgen musste, eben zu meiner Geburt heute vor 76 Jahren.


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