Atomunfall und journalistische Schwäche

Die Sendung «Echo der Zeit» war einst die intelligente Visitenkarte von Schweizer Radio (SRF): Täglich drei Viertel Stunden kompetente, kritische Infos samt Hintergründen und Kommentaren zum Geschehen zuhause und in der weiten Welt. Tempi passati, wie ich eben heute wieder mal feststellen muss, auf den Tag genau 50 Jahre nach dem schweren Atomreaktorunfall beim Westschweizer Dorf Lucens.

Und was bringt «Echo der Zeit» zur Erinnerung? Hier:
«Das ist Vergangenheit. Vor fünfzig Jahren kam es in Lucens im Waadtland zu einer Kernschmelze. Der gravierende atomare Unfall im Versuchsreaktor gilt bis heute als einer der zwanzig schwersten atomaren Störfälle weltweit. Und doch ist er fast in Vergessenheit geraten.»
Mehr Blabla im Link [2].

Es ist doch nicht zu fassen! Der ganze fünfminütige Beitrag ist eine Endlosschleife: Wir haben Glück gehabt, alles längst vorbei, hat ja schon damals kaum jemanden interessiert, selbst die AKW-Gegner sprachen kaum von Lucens…

Letzteres ist nachweislich falsch. Um zum andern: Kritischer Journalismus würde nicht nachplappern, sondern nachfragen: Warum hatte dieser grosse Unfall so wenig Widerhall? Weil mächtige Kreise von vaterländischen Rechtsextremen über rücksichtslose Wissenschaftskarrieristen und von Energiekonzernbossen über durchgeknallte helvetische Atomkriegsstrategen bis zu Spitzenpolitikern dafür gesorgt haben, dass ja nicht über die abgrundtiefen Hintergründe des Unfalls gesprochen wurde. Denn alle diese Kreise hatten ja ums Verrecken den helvetischen AKW-Eigenbau wollen, um so an waffenfähiges Plutonium zu gelangen – und für sie war der eigentliche GAU nicht der Atomunfall, sondern, dass ihr Spielzeug kaputt gegangen war, das ja nur als Tarnfassade gedient hatte und an die Stromproduktion eh nur einen lächerlichen Beitrag geleistet hätte.

Da wartet Stoff in Hülle und Fülle, für kurze wie für längere Radiobeiträge – wenn mensch sich denn als SRF-Mitarbeiter/in mal ein wenig hinter die Oberfläche vorarbeiten würde. Was nicht wirklich so mühsam wäre, denn der Schweizer Autor Peter Beutler hat die Zusammenhänge unlängst in Form einer historischen Kriminalromans wirklich leicht lesbar dargelegt [3]

Bücher lesen ist heute vielleicht doch die bessere Informationsbeschaffung.


Kommentar

Bruno: Leider hat diese Sendung an Mut und Substanz verloren. Das ist mir im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Syrien aufgefallen. Heute werden oft «Experten» der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) befragt, welche von der deutschen Regierung finanziert ist und aktiv in die Entwicklung in Syrien eingegriffen hat, anstatt unabhängige und kritische Journalisten vor Ort. Solches beschleunigt den Niedergang des Journalismus, auch beim Echo der Zeit.


Quellen:
[1] Zuerst publiziert auf Facebook
[2] https://www.srf.ch/wissen/technik/50-jahrestag-lucens-1969-als-die-schweiz-knapp-einer-atomkatastrophe-entging
[3] Buchbesprechung über Peter Beutler (2018): «Der Lucens-GAU»


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