Grundeinkommen als Valium

Zuerst publiziert auf Facebook am 28.03.2018

Diarchia: fraternitas tra i Cesari e gli Augusti ~ l’abbraccio
tra Matteo Salvini e Luigi Di Maio
(Illustrazione di Giovanni Guida / Wikimedia Commons)

Ein Blick in die Diskussionen um die Regierungsbildung in Italien lohnt sich. Vor allem bezüglich der Absprachen zwischen den beiden Wahlgewinnern, der rechtspopulistischen Lega und Grillos bunt gemischter Populistentruppe Cinque Stelle.

Die Grillini machten  sich im Wahlkampf stark für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Bei der Sondierung von programmatischen Gemeinsamkeiten, die eine Regierungskoalition ermöglichen würden, zeigt Lega-Chef Matteo Salvini eine taktische Bereitschaft, dieses Anliegen mitzutragen. Allerdings missbraucht er den Begriff für eine bloss temporäre Unterstützung von Erwerbslosen:

«Reddito di cittadinanza? Se significasse pagare la gente per stare a casa, direi di no, ma se fosse uno strumento per reintrodurre nel mondo del lavoro chi oggi ne è uscito allora direi di si.» (Il Piccolo, 27.03.2018)
 «Se (il reddito di cittadinanze) è un sussidio sine die per chi sta a casa allora no. Se si tratta di un sussidio in attesa di riavviarsi al lavoro parliamone.»

(Il Piccolo, 28.03.2018)

Was Salvini von sich gab, heisst auf Deutsch: «Bedingungsloses Grundeinkommen» (BGE). «Wenn das bedeuten soll, die Leute dafür zu bezahlen, dass sie zuhause bleiben, würd ich nein sagen. Wenn es aber ein Instrument wäre, um jene wieder in die Arbeitswelt zu integrieren, die aus ihr ausgeschieden sind, würde ich ja sagen. Wenn das bedingungsloses Grundeinkommen eine unbefristete Sozialhilfe für jene ist, die zuhause bleiben, dann nein. Wenn es aber eine Beihilfe ist für eine Wartezeit, bis man wieder zu arbeiten beginnt, können wir darüber reden.»

Anstatt dies als «typisch italienische Polit-Farce» abzutun, empfehle ich, die Aussagen Salvinis als warnendes Beispiel ernst zu nehmen. Tatsache ist, dass es in den Industrieländern immer weniger Bedarf an Lohnarbeit gibt – da können sich die Politiker/innen von links bis rechts das Maul noch so sehr verrenken. Genau darum gewann ja die nicht ganz neue Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens in neuerer Zeit wieder derart Auftrieb. 

Die Automatisierung hat seit Beginn der Industrialisierung Arbeitsplätze wegrationalisiert. Solange neue Jobs im Dienstleistungssektor geschaffen wurden, liess sich die «Arbeitslosigkeit» in Grenzen halten. Seitdem aber auch der tertiäre Sektor zunehmend automatisiert wird, sieht das anders aus. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, welches tatsächlich die Lebenskosten finanziert, wäre sozusagen die Erfüllung der uralten linken Forderung nach Besteuerung der privaten Automatisierungsgewinne. Wenn es für immer mehr Menschen keine Lohnarbeit mehr gibt, müssen sie ja doch von etwas leben können.

Die Automatisierungsgewinne werden aber bis jetzt in keinem Land besteuert. Daraus folgt: Es dürfte in jedem Land, das ein «bedingungsloses Grundeinkommen» eingeführt wird, realpolitisch auf eine reine Sozialhilfe hinauslaufen, dank der mehr Menschen in Billigstlohnarbeit gezwungen werden, «weil sie ja schon etwas kriegen». Falls sich Lega und Cinque Stelle einigen, wird es so ausgehen. Ende der schönen Idee.

Der Kern des Problems liegt darin, dass die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens die Verteilungsfrage nicht stellt, weshalb sie anfällig ist für einen politischen Deal um Almosen. Klüger wäre es, die Verteilung des gemeinsamen Reichtums zu fordern: Gleichberechtigte Nutzung des Lebensressourcen. Die Mehrheit der Menschen ist heute durch die simple Tatsache ihres Hierseins gezwungen, einer kleinen reichen Minderheit tägliche eine Rente für den nackten  Lebensunterhalt zu bezahlen. Würde das Eigentum an Boden aufgehoben und erhielte jeder Mensch mit Geburt und bis zum Tod das unentgeltliche Recht, einen gleichwertigen Anteil an der Erdoberfläche mit allem darunter und darüber zu nutzen, wäre die Existenzgrundlage politisch neutral gesichert. Und wer mehr Grund und Boden beansprucht, als ihm zusteht, bezahlt Miete; Grundeigentum als Basis privaten Reichtums ade. Wer weniger als seinen Anteil nutzt und den Rest svermietet, kriegt ein echtes Grundeinkommen – et voilà! 

Mehr zur gleichberechtigten Nutzung der Lebensressourcen : https://blog.billo.ch/?p=4398


Kommentare dazu auf Facebook

Walter: Er hat aber insorfern schon recht, als es beim BGE ganz stark auf die konkreten Konditionen ankommt. Und wenn man mal schaut, was da bei einer raschen Einführung der Idee realitistischerweise drinläge, muss man tatsächlich sagen, dass das die schlimmstmögliche Wendung in der Sozialpolitik wäre. Man gibt den Leuten soviel, dass sie gerade nicht verhungern. Gesunde können dann zu egal welchen Bedingungen das Fehlende für ein menschenwürdiges Leben dazuverdienen, Kranke beiben halt auf der Strecke.

Billo: Na, dann lass mal Salvinis Worte auf Dich wirken… Ein echtes Grundeinkommen, das jede/r ohne Vorbedingungen bekommt und das die Existenz ohne Lohnarbeit sichert, wär aber schon ein Einstieg in eine gerechtere Gesellschaft…

Irmy: Du glaubst doch nicht im Ernst, dass sich diese Idee weltweit und ‚mal so eben rasch‘ umsetzen liesse ..? Es wird immer Übergangsphasen brauchen zu neuen Modellen und ich kann nur sagen, dass die Umsetzung eines Grundeinkommens keine der schlechteren Ideen dieses Gespanns wär. Der Logik, dass dadurch erst recht ‚billige Kräfte‘ ausgenutzt würden, kann ich nicht folgen. Eben nicht – wenn sich keiner um die Grundsicherung sorgen muss. 
#SalvinisWortewirkenlassen: Die sind ja nicht das Gelbe vom Ei – bin mir aber sicher, er sagt sonst weitaus Kritikwürdigeres.


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