Kuschen vor Zöllen oder handeln?

Collage mit einem Ausschnitt aus einer Foto
von Die Weissenhofer (Wikimedia Commons)

In den 1990er Jahren gehörte ich zu den links-grünen Kritikern der geplanten Umwandlung des Allgemeine Zoll- und Handelsabkommens (GATT, seit 1948) in die Welthandelsorganisation (WTO, ab 1995). Wir befürchteten eine Zunahme der globalen Handelsströme und des von mächtigen Staaten subventionierten Wettbewerbs um tiefe Preise bei gleichzeitiger Verwässerung staatlicher Umwelt- und Sozialnormen. Müsste ich also glücklich sein darüber, dass die USA den Welthandel durch hohe Zölle erschwert? Nein.

Die WTO wurde geschaffen, um den Freihandel weltweit zu fördern. Doch sie ist seit Jahren durch das eigenmächtige Verhalten der USA blockiert, und selbst grossen aufstrebenden Exportländern wie China oder Indien ist es nicht gelungen, die WTO wieder flott zu kriegen. Die verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit dieser beiden und weiterer Staaten im wachsenden Bündnis BRICS kann auch vor diesem Hintergrund gesehen werden: als Antwort auf die Dominanz des Westens unter Führung der USA. Der freie Welthandel wird also zusehends abgelöst durch die Herausbildung von Wirtschaftsblöcken. Die Befürchtungen über die Folgen zunehmender globaler Warenströme sind damit freilich nicht vom Tisch – im Gegenteil: die unterwürfigen Reaktionen der meisten Länder, insbesondere auch der EU und der Schweiz [1] [2], auf das erratische Zolldiktat der USA bringen nicht nur Handelsbeziehungen durcheinander, sondern werden auch bestehende Errungenschaften zum Schutz von Umwelt, Werktätigen und Konsumenten aufweichen.


Binnenmärkte wären wichtiger als Welthandel

Mit der ungewissen Aussicht auf einen reduzierten, wenn auch immer noch stark erhöhten US-Zollsatz von 15 Prozent verspricht die Schweizer Regierung einerseits, dass die Schweizer Wirtschaft in den USA 200 Milliarden Dollar investieren, also Arbeitsplätze in die USA verschieben werde, und andererseits, dass die selbe Wirtschaft deutlich mehr aus den USA importieren werde, um das Handelsbilanzdefizit zwischen den beiden Volkswirtschaften auszugleichen. Das kann für die realexistierende Schweiz volkswirtschaftlich auf Dauer nicht aufgehen.

Es kann schon deswegen nicht aufgehen, weil die Schweiz jeden zweiten Franken mit Exporten verdient, so das Mantra der helvetischen Wirtschaftskapitäne. Das ist zwar nur die halbe Wahrheit, aber es wäre immerhin schon längst ein Grund, sich stärker auf den EU-Binnenmarkt auszurichten und aktuell vor allem ein Grund, sich den weiteren Zugang zu diesem Markt langfristig vertraglich zu sichern.

Doch nicht nur für die Schweizer Exportwirtschaft wäre eine Konzentration auf den EU-Binnenmarkt logisch, sondern auch für die Wirtschaft der EU selber, die sich von Exporten in die ganze Welt abhängig macht, aber es z. B. nicht geschafft hat, von den US-Techgiganten unabhängige, eigenständige Angebote zu erarbeiten. Ein Markt mit 450 Millionen Konsumenten müsste doch in der Lage sein, deren Bedürfnisse zum grössten Teil aus eigener Kraft zu befriedigen, also im eigenen Wirtschaftskreislauf.

Für ein kleines Land wie die Schweiz ist die Versorgung aus eigenem Kreislauf sicher schwieriger. Aber auch hier darf man kritisch nachfragen, warum denn die Hälfte des Volkseinkommens quasi naturgesetzlich mit Export verdient werden muss, was der Sinn dieser Produktion ist und mit welchen Kosten sie für das Land und seine Bevölkerung verbunden ist (Bevölkerungsdichte weit jenseits der landeseigenen Kapazitäten, um nur ein Beispiel zu nennen). Kurz: Volkswirtschaften, die ihre Kraft vorwiegend aus ihrem Binnenmarkt schöpfen, sind resilienter, erst recht in Zeiten eines globalen Umbruchs, sich verändernder Machtverhältnisse und Regeln, verwundbarer interkontinentaler Lieferketten und Schifffahrtsrouten wie etwa durch das Rote Meer und den Suezkanal, et cetera. Das sagt sogar die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB [3]), die selten meiner Meinung ist.


Schweiz sollte Freihandel zur Bedingung machen

Könnte sich die Schweiz denn angesichts der Trumpschen Zumutung anders verhalten als mit schleimerischen Bücklingen? Eine selbstbewusste Schweizer Politik und Wirtschaft könnte sich darauf einigen, Handel mit Ländern zu treiben, mit denen ein Freihandelsabkommen besteht, das minimale Bestimmungen zum Schutz von Umwelt, Arbeitnehmern und Konsumenten enthält. Also vor allem mit Ländern der EU und der EFTA, aber auch Kanada, China, Indien, Mexiko, Südafrika und dreissig weitere Länder. Das liesse sich steuern mit einer Regelung, die es Bund und Kantonen verbietet, Unternehmen mit Exportgarantien, Subventionen, Kurzarbeitsentschädigungen usw. zu unterstützen, wenn sie in andere Länder (darunter die USA) exportieren. Thema für eine Volksinitiative, Libero?, Gewerkschaftsbund?


Quellen:
[1] Radio SRF, 22.11.2025: «Lässt sich die Schweiz von den USA erpressen, Bundesrat Parmelin?»
[2] Republik, 22.11.2025: «Das inakzeptable US-Diktat»
[3] ORF, 21.11.2025: «Europa braucht neues Wachstumsmodell»
[4] SECO: Freihandelspartner der Schweiz


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