
Muss man als Linker tolerant sein gegenüber der Verschleierung von eingewanderten muslimischen Frauen, weil die Rechten dagegen hetzen? Eine lokale Betrachtung.
In der italienischen Werftstadt, in der ich lebe (bis 2021, Anm. d. Red.), ist der Ausländeranteil so hoch wie in der Schweiz; ein Drittel der ausländischen Wohnbevölkerung stammt aus Bagladesh (inzwischen stammt ein Drittel der Wohnbevölkerung aus de, Ausland, zur Hälfte aus Bangladesh, Anm. d. Red., 09.12.2026). Die Stadtregierung wird sei gut drei Jahren von der Lega beherrscht. Ich befinde mich also mitten im Spannungsfeld zwischen teils offen, teils verhalten, teils gar nicht reaktionären Immigranten und einer rechtspopulistischen Giunta, die immer wieder ihr «popolo» mir markigen Parolen beglückt.
Und was macht da der Anblick von (fast) voll verschleierten Frauen mit mir? Find ich das im Einklang mit der aus eigener Schuld abgeschifften Demokratischen Partei gut, weil jede/r tun und lassen dürfen soll, wie’s ihr/ihm beliebt, und find ich das umso besser, weil die Lega selektiv gegen solche Freiheiten hetzt? Das kann doch nicht der Massstab eines persönlichen Urteils sein! Nein, ich finde es daneben, wenn Menschen sich – aus welchen Gründen immer – in einer ihnen fremden Kultur niederlassen, sich aber (teils gar ostentativ) benehmen, als ginge das Fremde sie rein gar nichts an, ja: es gar mit überheblichem Gehabe gering achten.
Wäre ich durch die Umstände gezwungen, in einer mir fremden Kultur zu leben, würde ich mich darum bemühen, nicht übermässig als Fremder aufzufallen. Ich würde versuchen, die fremde Kultur zu einem Teil meiner eigenen Lebensweise zu machen, ohne zu vergessen, wo ich herkomme und wie ich dort gelebt hatte. Fusion, sozusagen.
Hinzu kommt: Wir müssen uns schon überlegen, wo wir selber stehen und wofür, und uns nicht irre machen lassen von Parolen von rechts bis links, die ja selten der Redlichkeit dienen, sondern der Kundenpflege der eigenen politischen Anhängerschaft. Nur weil die inländischen Reaktionäre gegen die Burka Sturm laufen, muss ich doch als linker Internationalist die Insignien fremdländischer Reaktionäre nicht plötzlich für schützenswert halten!
Debatte auf Facebook
Irmy: Ganz schlimm, dass man überhaupt darüber reden muss (das Foto bräuchte ich auch nicht … so wie ich Fotos von unseligen Politikern nicht brauch). Ganz schlimm, dass in Österreich nicht mal das diesbezügliche Unterdrücken von kleinen Mädchen verboten worden ist. Ganz schlimm, dass sogenannte «Linke» diese Sklaverei unter irgendwelchen Entschuldigungen tolerieren. Klar, die Frauen wollen das
a) unbedingt selber, bereits mit 3 oder 4 Jahren und
b) ist das sooo schön bunt… nicht wahr?
Habt ihr sie noch alle, die ihr das okay findet? Leider nein.
Bruno: Ein Bild für Irmy:

Irmy: Und was will es mir sagen? Dass Masken nix mit Frauenunterdrückung zu tun haben – da nicht und dort nicht… Als Scherzerl gangerts durch. Aber nicht zum Thema… Würd ich deine Einstellung zum Thema kennen, tät ich mich leichter^^
Daniel: Es geht um nichts anderes als die Frage, wie offen die viel beschworene offene Gesellchaft, denn sein soll und darf. Und Billo müsste in seinem Beitrag stringenterweise auch dem Begriff der Leitkultur seinen Auftritt geben, was dann halt wohl doch nicht mehr so ganz kompatibel wäre mit linkem Internationalismus.
Henrique:Und was soll am Begriff Leitkultur (Gilles Kepel) falsch sein, Daniel? Und was soll «linker Internationalismus» heute denn sein?
Es ist total einfach. Im fremden Land passe dich an. Punkt. Eine uralte Migrationsregel. Machst du das nicht, trage die Konsequenzen. Ohne mimimi.
Übrigens: weshalb sind Burkabilder stets von einer jungen und wohl schönen Frau? Warum nicht mal unschöne Augen und Runzeln bis zum Geht-nicht-mehr?
Billo: Daniel, Du unterstellt mir Argumente, die mir fremd sind, und ohne dass Du mich überhaupt kennst. Ist mir auch schon auf den walls von Freunden aufgefallen. Ciao.
Persönlich halte ich Zwang und Verbote immer für problematisch, weil sie oft das Gegenteil der erklärten Absicht bewirken. Das gilt allerdings auch für das Verbot, sich als Frau unverschleiert und allein ausser Hauses zu bewegen – ein Verbot, das im krassen Gegensatz zur Verfassung eines europäischen Landes und zu den Europäischen Menschenrechen steht.
Ruedi: Wer seine Frau, Schwester oder Tochter nur mit einer gegen ihren Willen zu tragenden Kluft raus lässt, macht sich diverser Straftatbestände schuldig (z. B. Freiheitsberaubung oder Nötigung). Wie bei allen häuslichen Delikten fehlt es dann aber häufig sowohl an der Bereitschaft, anzuzeigen, als auch an Beweisen.
Billo: … und wohl auch an der Bereitschaft seitens Politik und Behörden, dieses Problem ernst zu nehmen – siehe etwa die mangelnde Unterstützung für Frauenhäuser…
Ruedi: Frauenhäuser scheinen mir mindestens in meiner Region kein Finanzproblem zu haben. Hingegen ist die Opferhilfe zu eng gefasst und zu knapp finanziert.
Billo: Da hab ich aber von Betroffenen auch anderes gehört, Ruedi… Opferhilfe: ganz einverstanden.
Ruedi: Den Betroffenen vermittle ich gerne einen nützlichen Kontakt…
Herta: Ob man ein Problem mit Nikab oder ähnlichem hat ist für mich unwichtig. Jedem das seine. Was mich schlicht stört, ist, dass man immer von einem Burkaverbot spricht. Die einzigen Burkas sind mir in Kashgar begegnet und die sind wirklich unheimlich. War da jetzt wohl eine Frau oder ein Mann unter dem Gewand? Beängstigend! Eigentlich wie die Vermummten in unseren Gegenden. Frauen im Nikab, vor allem in Ländern wo man sie akzeptiert, oder man ihnen einfach freundlich begegnet, habe ich nur mit einem liebenswürdige Lächeln in Erinnerung.
Martina: Ich habe überhaupt noch nie eine Frau in einer Burka gesehen. Nikab ja, aber die könnte ich an einer Hand abzählen. Meide aber auch Orte wie Interlaken.
Herta: Ja, denke ich auch, so Touristenorte sind natürlich schon besucht von mit Nikab bekleideten Touristen. Aber ich vermute, dass das Thema Burka in den Köpfen eingeschweisst ist. Wir wissen ja auch, welche Partei da die notwendigen Plakate etc. aufgestellt hat. Schade.
So ein wenig mehr Offenheit und Toleranz würde nicht schaden. Leute in unseren Regionen verhalten sich im Ausland ja auch nicht zwingend angepasst und als Gast.
Bernhard:Wir sollten etwas differenzieren. In meinem Fall heisst dies, dass ich auch gegen ein Verbot und nicht prinzipiell dagegen bin, dass Muslimas voll verhüllt unterwegs sind. Hingegen erachte ich es als diskriminierend und herabmindernd den Unverhüllten gegenüber, wenn Burkaträgerinnen auch dort auf die Verhüllung bestehen, wo eine «offene» Kommunikation auf Augenhöhe üblich oder erforderlich ist, wie z. B. am Postschalter, im Schuhladen usw. Ich würde somit eine verhüllte Person nicht bedienen bzw. die Möglichkeit zu der dem Menschen eigenen Form der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht einfordern.
Zoran: Well, there are those cultural differences. In middle east islamic culture, when you put burqa (or niqab) that would suppose to mean the woman is ‚pure‘ (whatever that means). When you put it in western culture, it more-less indicates you are about to rob a bank. xD But joke aside, to me this looks like as imposing foreign culture to domestic people under the guise (appropriate) of religious freedom. And since there is no explicit religious obligation to wear it, I see it as political symbol. The one that would proclaim middle east values in the western world, including position of women in family and society. It’s kinda sad that leftists, where I naturally position myself, support it with such a passion, just to counter right-oriented political parties.
Billo: Um es nochmals zu unterstreichen: Das Problem mit dieser Schweizer Volksinitiative von rechtsaussen ist, dass sie an der Oberfläche bleibt – und viele fallen drauf herein. Es kann mir ja recht egal sein, wie sich jemand kleidet, solange er/sie das Leben der andern nicht beeinträchtigt – was etwa, wie Bernhard ausführt, dann gegeben ist, wenn ein notwendiger Austausch von Angesicht zu Angesicht verunmöglicht wird.
Das echte Problem hingegen entsteht dann, wenn sich Gruppen von Menschen (Islamisten, Sekten, Nazis, Reichbürger, usw.) von der Gesellschaft, dank der sie eine Existenz haben, feindselig abschotten. Dieses Problem geht die Initiative überhaupt nicht an – aber auch deren reflexartige Ablehnung macht einen Bogen ums Problem.
Zwei Fragen müssten gestellt und beantwortet werden:
1) Wie wäre die Gesellschaft zu gestalten, dass alle Menschen sich frei von Existenzängsten entfalten können?
2) Welche Mittel sind notwendig, um Menschen, die selbst mit einer so gestalteten Gesellschaft unzufrieden sind, daran zu hindern, sich ihr gegenüber feindselig zu verhalten? Bis wie weit geht Inklusion, und ab wann ist Ausschluss unumgänglich?
Dominik: Ein Problem das nicht existiert – also braucht es auch kein Lösung.
Billo: Wenn Du den comment gleich über Deinem liest: Problem wirklich gelöst?
Dominik: Sorry mein Kommentar bezog sich auf die Schweiz.
Billo: Auch in der Schweiz existiert das von mir eben genannte Problem, Dominik, es hat mit der Anzahl der Burkas nichts zu tun!
Weitere Debatte hier:
Über Burka, Beschneidung und die Durchsetzung von Frauenrechten
Und weitere Beiträge zum Thema unter Suche: Burka
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