Die feine poetische Schweizer Autorin im Grazer Verlag legt erneut ein Buch in einer hellen Sprache vor: erhellend gerade dank knapper Sätze und alltäglicher Wörter. Und sie schafft es, eine Innensicht von Leben zu vermitteln, die uns ahnen lässt, (mehr …)
Kategorie: Literatur
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Eleonore Frey: «Muster aus Hans» (2009)
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Liaty Pisani: «Das Tagebuch der Signora» (2007)
Die vor allem als Schöpferin des Agenten Ogden bekannt gewordene italienische Autorin legt mit dem «Tagebuch der Signora» eine brilliante Analyse der Verbindungen von alten Faschisten zu neuen menschenverachtenden Herrschaften aller Art vor, (mehr …) -
José Saramago: «Der Doppelgänger» (2002)
Ein etwas gelangweilter Mittelschullehrer in Lissabon entdeckt eines Nachts auf einer DVD einen unbedeutenden Nebendarsteller, der ihm aufs Haar gleicht, bis auf die vermeintlich zufälligsten Details. (mehr …) -
Qiu Xiaolong: «Schwarz auf Rot» (2004)
In Shanghai aufgewachsen, reiste der Übersetzer und Lyriker Qiu 1988 in die USA, von wo er nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz nicht mehr zurückgekehrt ist. In seinen Kriminalromanen («Schwarz auf Rot» ist Oberinspektor Chens dritter Fall) verschafft er uns Westlern nicht nur einen kritischen Einblick in das China von heute und in dessen Vorgeschichte unter Mao, (mehr …) -
Yvette Z’Graggen: «La Punta» (1992)
Mit 72 schildert die Genfer Autorin Z’Graggen in einem schmalen Roman über das Auseinanderleben eines alten Ehepaars in seiner nicht ganz freiwilligen Retraite an der Costa Blanca, (mehr …) -
Andrea Paluch, Robert Habeck: «Der Schrei der Hyänen» (2004)
Ein Roman über die unglaubliche Geschichte einer weissen Tochter einer Deutschen und eines Afrikaners, deren Enkelin in Deutschland schwarz zur Welt kommt, aber eine weisse Tochter gebiert. (mehr …) -
Richard Dooling: «Grab des weissen Mannes» (1994)
Ein US-Amerikaner versucht, Afrika zu verstehen, Jahre nachdem er neun Monate lang in kleinen Städten und Dörfern Sierra Leones gelebt hat. Seine Auseinandersetzung mit dem fast unüberwindbaren Graben zwischen beiden Kulturen ist ehrlich, in eine spannende Geschichte verpackt und voller Witz und Intelligenz, (mehr …) -
Lion Feuchtwanger: Die Jüdin von Toledo» (1955)
Das Thema seines Romans «Goya», die katholisch verkrusteten Verhältnisse im Spanien des 18. Jahrhunderts, hatte Feuchtwanger ursprünglich in einem zweiten Buch fortsetzen wollen. Stattdessen und für uns zum Glück blätterte er weit zurück (mehr …) -
Irving Stone: «Vincent van Gogh» (1936)
«Ein Leben in Leidenschaft» heisst der deutsche Nebentitel dieser Biografie – und trifft in zweifacher Hinsicht: Die Entwicklung van Goghs war von der wilden Leidenschaft zu malen gezeichnet, mehr als von allen andern Leidenschaften. Und Irving Stone, auch er ein Autodikakt, erzählt van Goghs Geschichte mit einer Leidenschaft, der ich sich als Leser nicht mehr entziehen konnte. Was Malen wirklich heisst, hab ich erst mit diesem Buch begriffen.
rororo 11099, Taschenbuch, ISBN-3-499-11099-7 -
Michail Bulgakov: «Hundeherz» (1925)
Eine beissend ironische Abrechnung mit dem Kommandokommunismus der frühen Sowjetjahre. Kein Wunder, zog der junge Arzt Bulgakow, der sich bei keiner der miteinander verfeindeten Parteien und Armeen zuhause fühlte, mit solchen Schriften den Argwohn des Vaterlands der Arbeiter auf sich. «Hundeherz» wurde in der Sowjetunion denn auch erst 1987 publiziert…
dtv, Taschenbuch, 1994 -
Lion Feuchtwanger: «Goya» (1951)
Feuchtwangers Roman «Goya oder der arge Weg der Erkenntnis» spielt im von Inquisition und feudaler Dekadenz beherrschten Spanien zur Zeit der französischen Revolution. Vor diesem düsteren Hintergrund verläuft die Entwicklung eines der grössten Malers, vom schillernden, mal geliebten, mal gehassten Portraitisten des Königshauses und von Granden hin zum freien, frechen Chronisten mit spitzer Nadel. Wie immer bei Feuchtwanger erschliesst sich der Text sprachlich nicht so leicht, doch die Tiefe und die Lebendigkeit der epischen Erzählung lohnen die Mühe wirklich.
Aufbau Verlag, Taschenbuch, ISBN 978-3-7466-5613-7 -
Marlen Haushofer: «Die Wand»
Unter all den Büchern, die ich im Lauf der Jahre gelesen hab, ist «Die Wand» vermutlich jenes, das mich am stärksten beeindruckt hat, unmittelbar beim Lesen und nachhaltig in der Erinnerung.
Die Geschichte ist enorm beklemmend. Plötzlich ist da nichts mehr, alle andern Menschen sind verschwunden, die Protagonistin sieht sich über Nacht allein gelassen in einer abgelegenen Gegend, die sie im Erkunden zudem als abgeschlossen erfahren muss, ungläubig zunächst, aber unentrinnbar: eine hohe Wand aus dickem durchsichtigem Material umschliesst ihre kleine Welt. Was sie durch die Wand erblickt, sieht nicht lebendig aus. Etwas muss passiert sein; was, bleibt ungewiss.
Die im Grunde wenig ereignisvolle Geschichte ist beklemmend gerade in der ruhigen, fast beschaulichen Art, in der sie erzählt wird. In einer meisterhaften Sprache, um genau zu sein. Präzis, knapp, anschaulich. Die Sprache einer Frau, die ihren Alltag berichtet; aber nicht den gewohnten Alltag als Hausfrau, sondern den einer Frau, die all ihr Wissen und Können darauf verwendet, unabhängig und selbständig zu werden und zu überleben: zu leben!
Es ist keine feministische, rebellische Sprache, in der Marlen Haushofer erzählt. Selbst als die Protagonistin einen Mann umbringt, der unerwartet als einziger Mitmensch in ihrem Biotop auftaucht und ihr Leben durchkreuzt, wird nicht als Tat einer Frauenbefreiung herausgestrichen; der Mord ergibt sich vielmehr aus der Autonomie der Person unaufgeregt folgerichtig, im Lesen nachvollziehbar.
Für mich gehört dies zur unglaublichen Stärke dieses Buchs, dass es im Kleinen beschreibt, was im Leben einer Person passiert, die plötzlich vollkommen auf sich allein gestellt wird und sich ohne fremde Hilfe im wahrsten Sinn autonom organisieren muss. In der Gesellschaft, in welcher die 1920 in einer österreichischen Landgemeine geborene Marlen Haushofer aufwuchs, war Autonomie vielleicht das, was ein Mann erringen konnte, wenn er klug und wohlhabend genug war; aber gewiss nicht eine Frau. Das spricht ihr Roman nicht frontal an, sondern macht es durch das lesende Miterleben erfahrbar, aber so, dass es erst allmählich ins Bewusstsein gerät, vielleicht erst Jahre nach der Lektüre, weil die einfachen, aber kraftvollen Bilder nicht aus dem Gedächtnis weichen.
Es passt zur ohne absehbares Ende gebliebenen Geschichte und zu jener Zeit, dass die zu derartiger Sprachkunst Begabte und damals auch Gelobte von der Literaturwelt bald wieder vergessen wurde. Hätte sich Marlen Haushofer mit weiteren grossartigen Werken dagegen zu wehren vermocht, wenn sie nicht im Alter von 49 Jahren an Knochenkrebs gestorben wäre? Ich wünschte es ihr.
Roman, 1963. Klett, 1986, ISBN 3-12-351960-0 (oder dtv, 1991)Kongenial verfilmt von Julian Roman Pölsler mit Martina Gedeck (2012)